Interview mit Dr. med. Michael Armbrust

Sehr geehrter Herr Armbrust,

Sie unterstützen das Borderline-Netzwerk schon von Anfang an im Expertenrat. Was hat Sie dazu veranlasst damals Ihre Unterstützung zuzusagen? Was war/ist Ihre Motivation dahinter?

Ich kannte Thora und Sassa schon vorher durch meinen Expertenrat in der BC. Als die beiden dann das BN gründen wollten, habe ich gleich zugesagt, mitzumachen, als Experte, als Ehrenvorstand und als Berater. Motiviert hat mich meine grundsätzliche berufliche Ausrichtung, da ich die Betreuung von Menschen mit BPS zu meiner Lebensaufgabe gemacht habe - inzwischen schon 22 Jahre. Die Situation damals 1990 hat mir u.a. zwei Denkrichtungen mit auf den Weg gegeben:
1. Menschen mit BPS werden völlig unterschätzt - auch von Profis - und diese Invalidierung trägt zur Chronifizierung bei. Hier will ich immer gegensteuern auf allen Ebenen.
2. Das Leben von Menschen mit BPS muss in "die Normalität", raus aus oder weiter weg von zu viel Psychiatrie und Psychotherapie. Die Arbeit im BN erlaubt da diverse Möglichkeiten. Für mich und v.a. für die Betroffenen. Das will ich unbedingt unterstützen, direkt und indirekt.

Eines unser Leitmottos des Vereins ist: "Du kannst es nicht alleine schaffen, doch nur du alleine kannst es schaffen." Wie wichtig sehen Sie die Unterstützung von Betroffenen untereinander?

Sehr wichtig. Wir haben in unserer Klinik ja Schwerpunktstationen, die nach meiner Einschätzung deshalb sehr gut funktionieren, weil neben zertifiziertem Konzept und hoher Expertise der Mitarbeiter ein sehr hoher Anteil an "Unterstützung von Betroffenen untereinander" besteht. Das reicht von Verständnis gegenseitig "ohne viele Worte" über grundsätzliche Akzeptanz untereinander ("endlich finde ich einen Ort, wo ich kein Alien bin") bis hin zu den abends auf Station stattfindenden selbsthilfeorientierten Übungsgruppen (ohne Therapeut), die sehr gut laufen. Diese Effekte sollten nicht nur stationär wirken, sondern in vielen Lebensbereichen der "Normalität". Hierzu benötigt es Zeit und Raum, auch wörtlich. So ein Raum kann auch virtuell sein. Das BN bietet da hervorragende Möglichkeiten.

Was halten Sie generell von Selbsthilfe im Bereich von Borderline-Betroffenen? Wo sehen Sie die Risiken und Nebenwirkungen? Wo die Vorteile?

Selbsthilfe ist unabdingbar. Zuvor stehen schon Argumente. Betonen kann ich nochmals den hohen Validierungseffekt, der dadurch zustande kommt. „Ich werde verstanden. Meine Meinung gilt. Meine Ansichten werden respektiert. Ich bin etwas wert.“ Könnte man sicher noch fortsetzen. Identitätsstörung ist ein Kriterium der BPS. Hier kann Selbsthilfe sehr gut und hilfreich sein. Nicht selten ist sie m.E. sogar nötig, um die Störung in die Identität integrieren zu können, Krankheitsakzeptanz zu ermöglichen und damit die Voraussetzung für Änderungen. Das sind Vorteile. Die Risiken ergeben sich genau daraus. Die BPS darf nicht die ganze Identität ausmachen und keinesfalls bleiben. Ich habe von „Ehemaligen“ den Begriff „Berufsborderliner“ gelernt. Das sollte nicht passieren. Ich hab große Hochachtung vor manchen ehemaligen Vorständen des BN, die es geschafft haben, ihre Identität weiter zu entwickeln und nun ein "normales" Leben zu führen.

Wie wichtig sehen sie den trialogischen Austausch zwischen Betroffenen, Experten und Angehörigen?

Sehr wichtig. Für Angehörige ist das oft die einzige Möglichkeit zum intensiveren Austausch. In BB machen wir alle 6 Wochen einen Trialog. Ich gehe fast immer hin, weil es mir viel bringt – neues Wissen, aber auch Spaß durch die erstaunlich entspannte und harmonische Atmosphäre. Und was ich gar nicht so erwartet hätte : es ist ein prima Lernfeld für angewandte Dialektik.

Eignet sich in Ihren Augen die DBT besonders als Ansatz in der Selbsthilfe? Falls ja, warum? Falls nein, warum nicht?

Ja die DBT eignet sich dafür sehr gut, da sie einen sehr empirischen und pragmatischen Ansatz hat. Das hat auch mich sofort angesprochen und bis heute überzeugt. Ich meine damit, dass es weniger darauf ankommt, dass ein bestimmtes Grundlagenwissen zur Anwendung kommt, - womöglich von einer Koryphäe mühsam ausgedacht - sondern dass sehr problem- und personenbezogen überlegt wird, was helfen kann. Das tun wir Profis mit den Patienten zusammen; das können Betroffene aber auch alleine versuchen, oft erfolgreich. Geeignete Skills zu finden, passt hierzu. Achtsamkeit zu lernen und zu üben, sowieso. Aber auch, Validierung zu lernen . Betroffene lernen schrittweise , sich selbst zu validieren - was das Ziel ist - durch Validierung von außen. Das können die Profis, aber das können sicher auch Partner in der Selbsthilfe leisten. Dialektisches Denken zu entwickeln und entsprechende Strategien zu finden, macht recht viel Spaß. Das kann man alleine gar nicht, nur in Gruppenkonstellationen. Das kann auch eine achtsame und engagierte Selbsthilfegruppe. Commitment dürfte in der Selbsthilfe eher schwierig sein. Das zeigt sich ja auch in den diversen, gelegentlich sogar heftigen, Abstimmungs- und Verbindlichkeitsproblemen in den Foren.

Zum Schluss: Gibt es noch etwas, was Sie dem BN mit auf den Weg geben möchten für die Zukunft?

Ich wünsche dem BN, dass es immer genügend engagierte Mitglieder gibt, die Verantwortung übernehmen wollen und können, und die Arbeit fortsetzen und weiterentwickeln. Vorrangig wünsche ich mir dabei, dass alle Mitglieder des BN dieses Engagement der Moderatoren, Forenleitungen, Vorstände etc. immer wertschätzen und dies auch zum Ausdruck bringen, selbst wenn sie anderer Meinung sind. Den Verantwortlichen wünsche ich Kraft für Arbeit, auch dafür, manches aushalten zu können. Also auch genug unperfektionistische Gelassenheit. Dass es das BN gibt, ist so großartig, dass es selbst mit 65 % Effektivität immer noch eine Bereicherung für die Welt ist.

Vielen Dank
Weltumseglerin

Dr. med. Michael Armbrust

Dr. Michael Armbrust

Dr. med. Michael Armbrust - Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, zertifizierter DBT-Therapeut - ist Chefarzt der Schön Klinik Bad Bramstedt.

Er ist Ehrenvorstand des Borderline Netzwerk e.V. und beantwortet im Expertenrat Fragen rund um die Themen Borderline und DBT sowie Fragen von Angehörigen.

Darüber hinaus unterstützt er unsere Arbeit mit fachlichem Rat und Supervision.